Mit Rätseln durch die Geschichte
Im Juni 2025 kamen in Chemnitz Menschen aus verschiedenen Generationen zusammen, um Geschichte lebendig werden zu lassen. In einem viertägigen Workshop im Rahmen des Projekts „Sommerfeld. Litten. X.“ entwickelten fünf Schüler:innen, eine Auszubildende, zwei Zeitzeuginnen und ein Workshopleiter gemeinsam Ideen für ein Escape Game. Die Grundlage dafür bildete intensive Recherche zur NS-Zeit: Im Mittelpunkt standen die Lebensgeschichten von Hans und Heinz Litten sowie Julius Sommerfeld. Hans Litten war ein Berliner Anwalt und mutiger Nazi-Gegner, sein Bruder Heinz Litten wirkte als Theatermacher in Chemnitz. Hans Litten wurde 1933 von den Nazis verhaftet und starb 1938 im KZ Dachau; Heinz Litten konnte 1933 aus Chemnitz ins Exil fliehen. Auch das Schicksal des jüdischen Kaufmanns Julius Sommerfeld, der einst in Chemnitz lebte, berührte die Gruppe – er wurde 1939 verhaftet und 1940 im KZ Sachsenhausen ermordet. Unterstützt durch die Erzählungen der Zeitzeuginnen und originales Quellenmaterial tauchten die Jugendlichen tief in diese Biografien ein.
Geschichte trifft Spielentwicklung
Aus den historischen Recherchen entstand schnell die Frage: Wie lässt sich so ein Schicksal spielerisch erfahrbar machen? Mit viel Kreativität und systematischem Vorgehen machte sich die Gruppe daran, aus Geschichte ein Spiel zu formen. Methoden des Storytellings halfen, einen roten Faden zu finden – zum Beispiel orientierten sich die Teilnehmenden an der Heldenreise, um die Ereignisse dramaturgisch spannend zu gestalten. So verwandelte sich Hans Litten in der Vorstellung der Jugendlichen in einen Helden wider Willen, der Prüfungen bestehen muss, während Julius Sommerfelds Geschichte als Rätselreise durch die Stadt Chemnitz konzipiert wurde. In Brainstorming-Runden diskutierten die Jugendlichen verschiedene Spielformen: Soll derdie Spielerin später reale Objekte im Raum enträtseln, Codes knacken oder digitale Elemente nutzen? Welche Rätselmechaniken passen zur jeweiligen historischen Begebenheit? Dabei wurde immer wieder der Bogen zur Gegenwart geschlagen – etwa wenn Parallelen zwischen dem Mut von Hans Litten und Zivilcourage heute gezogen wurden.
Die Workshop-Atmosphäre war von Neugier und Teamgeist geprägt. Auf Tischen breiteten sich Notizzettel, alte Fotos und Skizzen von Rätselideen aus, an den Wänden hingen Zeitachsen und Plot-Ideen. Eine Ecke des Raums verwandelte sich zeitweise in ein Testlabor: Hier probierte die Gruppe erste Rätselprototypen aus. Mit Eifer schlüpften die Jugendlichen selbst in die Rolle von Spieler:innen und versuchten, Schlösser zu öffnen oder versteckte Hinweise in historischen Dokumenten zu entdecken. Immer wieder wurde gelacht und kritisch nachgefragt – passt dieses Rätsel zur Geschichte? Ist es zu leicht oder zu schwer? Die Mischung aus spielerischem Ausprobieren und ernsthafter historischer Reflexion verlieh dem Workshop eine besondere Lebendigkeit.
„Mir war gar nicht klar, wie spannend Geschichte sein kann – wir haben beim Rätselausdenken völlig vergessen, dass wir dabei lernen!“, berichtet eine Schülerin begeistert.
Dieser Enthusiasmus war spürbar: Die Jugendlichen arbeiteten selbstbestimmt und kollaborativ. Jeder brachte eigene Ideen ein – ob es ein kreatives Puzzle, eine knifflige Quizfrage oder eine Möglichkeit war, Gefühle der historischen Figuren spürbar zu machen. Die zwei älteren Teilnehmerinnen, die als Zeitzeuginnen ihre Familiengeschichten und Erinnerungen teilten, waren fester Bestandteil des Teams. „Die Kreativität der jungen Leute hat mich beeindruckt. Sie haben aus schweren historischen Themen spielerische Erlebnisse gemacht“, meinte eine der Zeitzeuginnen am Ende anerkennend. So entstand ein reger Austausch der Generationen: Erfahrungswissen traf auf frischen Blick, und alle lernten voneinander.
Am Ende der vier Tage hielt die Gruppe stolz ein erstes Konzept für das Escape Game in den Händen. Geplant ist, dieses Ende des Jahres 2025 im smac Chemnitz – dem Sächsischen Museum für Archäologie – als interaktive Installation umzusetzen. Dann können Besucher:innen selbst in die Rollen von Spurensucher:innen treten und die Geschichten von Litten und Sommerfeld spielerisch nacherleben. Ziel des Projekts war es, historische Inhalte kreativ und spielerisch aufzubereiten, um sie für ein junges Publikum erfahrbar zu machen – und genau das hat der Workshop erreicht. Mit Fantasie, Teamarbeit und viel Engagement haben die Jugendlichen gezeigt, wie lebendig Erinnerungskultur sein kann, wenn man sie gemeinsam neu denkt und gestaltet. Die Vergangenheit wird hier nicht trocken vermittelt, sondern zu einem Abenteuer, das neugierig auf mehr macht – ein Escape in die Geschichte, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.